Nightangel-82
  Schwarzer Engel
 



Schwarzer Engel

Es war in einer dieser magischen Nächte, in denen der Sommer langsam seinen Abschied nimmt und den Mantel der Melancholie leise über die Welt legt. Die Luft war warm und streichelte mein Gesicht, als ich den Mond betrachtete. Man hätte die Trauer der Menschen um den Abschied des Sommers fast hören können, denn ihre Herzen sangen traurige Lieder von der Wärme und der Liebe, die sie nun langsam verliessen, um ihren Winterschlaf zu halten. Und in ihren Augen konnte man diese Lieder hören. Doch wenige lauschen, wenn Herzen singen. Das haben die Menschen verlernt.
In dieser Nacht hielt mich nichts zu Hause. Ich wollte dem Sommer den letzten Tribut zahlen und lief durch die Strassen, liess mein Herz singen und meine Tränen waren der Applaus für Melodien aus der Unendlichkeit des Sternenhimmels, der über mich wachte.

Ich liess mich an einem Brunnen nieder, dessen Putten längst aufgehört hatte, Wasser zu speien und der mir schmutzig und alt und ungeliebt vorkam. Genau wie ich. Als ich so an diesem Brunnen sass, der mein Schicksal der Einsamkeit teilte, und mich langsam von der Magie dieser Nacht betören liess, die Melancholie einen Schleier über meinen Blick legte und mich so sanft liebkoste, als sei ich ein neu geborenes Kind, da ist geschehen, wovon ich hier berichten will.
Durch meinen Tränenschleier sah ich die Umrisse einer Person, und blickte ich genauer hin, so schien es mir ein Schatten zu sein, der vor mir stand und alles Licht in sich einsog.Langsam wurde das Bild deutlicher und ich erkannte, dass nicht meine Sinne mir einen Streich gespielt hatten. Nein, vielmehr wusste ich meinen Augen kaum zu trauen in diesem Moment. Denn vor mir stand ein Engel.

Ein eisiger Schauer überkam mich in dieser milden Nacht, denn nie zuvor hatte ein Sterblicher solche Schönheit erblickt.

Das lange schwarze Haar fiel ihm über die Schultern wie schwerer Samt und der Glanz in seinen Augen war strahlender als der eines neugeborenen Sternes. Auch seine Haut war schwarz glänzend und schien wie ein Panzer um seinen muskulösen Körper zu liegen. Mächtige Flügel trug er auf seinem Rücken, so gross, dass sie alles um ihn herum verdeckten. Sie waren schillernd, schwarz am Ansatz, doch nach aussen hin verwusch sich die Dunkelheit in ein strahlendes Silber, als habe er den Mond darin gefangen.

Die Luft blieb mir weg bei der Erscheinung dieses schwarzen Engels, der so dunkel war, als söge er die Nacht in sich ein, und alles Licht, das noch existierte, verkroch sich aus Angst, der Sephrahim könne es dem Tage rauben, der bald schon wieder anbrechen sollte. So stand er vor mir, schöner, als die Nacht es mir je sein konnte, und rührte sich nicht.

Langsam rannen mir heisse Tränen die Wangen herunter und mein Zittern bahnte sich einen Weg aus meinem Kopf, bis es als Wimmern in meiner Kehle verstummte.

Doch nicht die Angst war es, die mich packte. Nein, die Freude über diese Schönheit trieb meine Tränen. Und ich glaubte in diesem Augenblick, die Finsternis sei Mensch geworden mir meinen Weg im Leben zu zeigen.

Und ich blickte zum Himmel und sah die Scharen der Nacht über unseren Köpfen davonfliegen, einer schöner und grösser und prächtiger als der andere, und der Schlag ihrer Flügel fuhr wie flüssiges Gold in mein Herz und liess mich selbst in Gedanken mit ihnen schweben, fliehen, frei sein.

Und der Engel trat vor mich dass ich seine Hitze spüren konnte, das Feuer, dass in seinem Innersten brannte, und in seinen Augen konnte ich die blauen Flammen lodern sehen, die ich in ihm entfacht hatte. Und seine Berührung war mir ein Schmerz, wie er wundervoller nicht sein konnte, ein vollendetes Glück, das den letzten Winkel meines Körpers durchzuckte wie ein Blitzschlag eines Herbstgewitters, der einen Baum tötet und ihn einsam auf der Wiese niederbrennen lässt. Und so sank ich keuchend und ohne noch Macht über mich selbst zu haben, in seine Arme. Er fing mich auf und umschloss mich mit seinen Flügeln, bettete mich in diese weichen Federn hinein die sanft meine Haut liebkosten. Dann zog er mich an sich, spreizte die mächtigen Schwingen und mit kraftvollen Schlägen erhoben wir uns in die Lüfte, den Sephrahim in die Unendlichkeit zu folgen. Und in unserem Tanz der Finsternis, den wir jenseits der Lichter der Stadt und weit entfernt von allem Vorstellbaren vollzogen, vereinigten wir uns und verschmolzen miteinander zu purer Energie. Und nur der Mond war der Zeuge dieses Wunders, das wie eine Sonne in meinem Innersten zu explodieren schien und den Nachthimmel in tausende von schillernden Farben tauchte.

Doch hoch oben packte er mich mit seinen riesigen Händen, hob mich empor dem Himmel entgegen, und im Moment meiner tiefsten Glückseeligkeit musste mich die Angst packen, als ich seine Augen in einem Höllenfeuer lodern sah. Und mit einem unmenschlichen Schrei aus seiner Kehle rasten wir zurück auf den Boden der Stadt und nur wenige Zentimeter vor dem Aufprall stoppte er unseren Fall, bettete mich auf das Kopfsteinpflaster und beugte sich über mich wie ein wildes Tier über seiner Beute geifert.

Und mit einem tiefen Blick in meine Augen fuhr seine Hand hervor, stiess in meine Brust und packte mein Herz. Er riss es heraus mit unglaublicher Gewalt und hielt es, noch wild schlagend, in seiner Hand, hob es gen Himmel und schrie mit aller Kraft. Dann blickte er auf das blutende Ding in seiner Hand, dessen Zuckungen immer langsamer und ungleichmässiger wurden. Das Blut tropfte auf die Strasse, auf der auch ich lag. Nackt und blutend, sterbend. Doch kein Schmerz kam meinen Sinnen nahe. Kein Gefühl. Kein Hass. Ich war einfach nur leer.

Er nahm mein Herz und schmetterte es zu Boden. Ich konnte hören, wie es zerbrach. Und als ich es betrachtete, hatte es so viele Risse bekommen, dass es bei der geringsten Berührung auseinanderfallen musste. Und Tränen entrannen meinen Augen, als mein Herz mich anblickte, als wollte es mir sagen: "Warum hast du nicht besser acht gegeben auf mich?"

Und schon lief es weg, verschwand in der Dunkelheit, im Schatten der Häuser, hinkend, verletzt und gebrochen.

Und dem Funken Mitleid, den ich in den Augen des schwarzen Engels sah, verdanke ich mein Leben. Denn wieder beugte er sich zu mir nieder und mit blutverschmierter Hand strich er mir die Haare aus dem Gesicht, die sich in meinen Tränen verfangen hatten.

Ein letztes Mal berührte er meine Lippen, mein Haar und zum Ende meine Brust, in der die grosse Wunde klaffte. Und ein heisses Licht fuhr durch seine Hand in meinen Körper hinein. Was blieb, war eine Narbe, die mich mein Leben lang zeichnen sollte.

Und ohne einen weiteren Blick an mich zu verschwenden, wie ich nackt in der Nacht lag, in einer Lache meines eigenen Blutes und meines Herzens beraubt, drehte er sich um und erhob sich in die Lüfte, seinem Volk ins Reich der Finsternis zu folgen. Und ich sah ihn entschwinden wie einen bösen Traum, der doch zu schön war, sich nach dem Aufwachen nicht mehr an ihn zu erinnern.

Und ich sah ihn nie wieder.

Doch wenn ich nachts durch die Strassen laufe, dann wird mir manchmal klar, warum das alles geschehen musste, wo er her kam und wo er hin entschwunden ist.

Denn ich habe mein Herz wiedergesehen.

Es lebt nun in Finsternis, versteckt sich wie die Ratten im Kanal oder läuft die Strassen entlang im Schatten der Hauswände, unsichtbar für einen ungeübten Beobachter.

Doch ich habe es erkannt. Die Risse sind gut geheilt, doch es ist sehr scheu geworden, seit es sich von den Tränen einsamer Menschen ernähren muss. Und von deren Leid.

Doch noch etwas ist mir aufgefallen: Es ist schwarz geworden und auf seinem Rücken beginnen kleine Flügel zu wachsen.

Ich glaube, je mehr Kummer es frisst, den manche Menschen auf der Strasse liegen lassen wie Abfall, desto näher rückt die Nacht, in der die Sephrahim wiederkehren werden, um mein Herz entgültig zu holen. Um aus ihm einen ihrer Artgenossen zu machen. Um ihm die Unendlichkeit zu zeigen. Dann wird es für mich für immer verloren sein. Aber wahrscheinlich ist es das jetzt schon. Denn ein Herz, dass gestohlen und dann gebrochen wurde, was kann aus dem noch anderes werden, als ein Schwarzer Engel, der in der Unendlichkeit wartet, eine Seele von ihrem Schmerz zu erlösen?


 
 
   
 
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